Spanien ist, so die These von Sergio del Molino in seinem Essay La España vacía. Viaje por un país que nunca fue (2016), seit jeher eine Kultur der Städte gewesen, sowohl auf der iberischen Halbinsel als auch in der Neuen Welt. Das Land jenseits der Städte ist somit das kulturwissenschaftlich gedachte leere Andere der Kultur. In der Tat ist das ländliche Spanien schon seit dem Mittelalter Imaginationsfläche und Fluchtort, wenn es nach dem Topos des antiken beatus ille als Ziel der Stadtflucht zivilisationsmüder Städter verklärt wurde. In der Literatur wiederum boten die Gattungen der Bukolik und Idylle den entsprechenden Rahmen, um dieser alabanza de aldea Raum zu geben.
Im spätkapitalistischen und durch ökonomische und politische Krisen gebeutelten 21. Jahrhundert jedoch ist diese Idealisierung scheinbar einer dysphorischen literarischen und cineastischen Darstellung des ländlichen, ‚leeren‘ Spanien gewichen. Dort werden die fatalen Folgen von Globalisierung, Generationenkonflikt und Wirtschaftskrise besonders sichtbar. Dies spiegeln auch die Werke jener jungen Generation von Schriftsteller:innen und Filmemacher:innen, die der Generación Cero zugerechnet werden können und teils mit den Indignados auf die Straße gingen, weil sie sich durch eine zusehende Prekarisierung bedroht sahen.
Wir wollen uns in dieser Vortragsreihe, die im Rahmen des Studiengangs "Spanische Kultur und europäische Identität" von Lehrenden der Bonner Romanistik gemeinsam mit Gästen von der Partneruniversität León und weiteren deutschen und internationalen Universitäten angeboten wird, der Kontinuität topographischer Imaginationen des leeren oder vielmehr entleerten Spaniens aus unterschiedlichen Perspektiven widmen: kulturanthropologischen, historischen, kulturvergleichenden, literatur- und filmwissenschaftlichen, linguistischen und kulturgeographischen. Mit Blick auf die Vorgeschichte des heutigen Topos werden Vorträge gehalten zum Don Quijote, dem spanischen Realisten Galdós und zu Julio Llamazares, ergänzt durch intensives Close Reading ausgewählter Gegenwartsromane, welche versuchen, die ‚Leere‘ des ländlichen Spanien als mehr (oder minder) tragische Konstante eines in sich gespaltenen Spanien poetisch zu fassen – und der Leere so auch immer eine Fülle der Bilder und Worte entgegenzustellen.
Es handelt sich um eine hybride Vorlesungsreihe. Wenn Sie sich online dazuschalten möchten, wenden Sie sich bitte vorher an petersk@uni-bonn.de.